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Ein Verbot von „Veggie-Burgern“ und „pflanzlichen Schnitzeln“ mag banal erscheinen. Doch die Verschwendung von Zeit und Ressourcen für solche Ablenkungen und Wunschkonzerte einzelner Branchen ist ein ernstzunehmendes Problem. Und der eigentliche Schaden trifft die EU selbst.

Eigentlich ist das alles Wurst – laut EU aber doch nicht

Also, die Tat ist vollbracht. Das Europäische Parlament hat abgestimmt, und eine Mehrheit hat beschlossen, dass „Schnitzel“ und „Burger“ Wörter sind, die zu gefährlich sind, um sie mit dem Pflanzenreich zu teilen. Wer gehofft hatte, dass Vernunft, Fakten und ein Hauch gesunden Menschenverstands die Oberhand gewinnen könnten, wird enttäuscht – wenn auch kaum überrascht.

Dies ist ein Versuch, das Ganze einzuordnen: Wie ein scheinbar belangloses Thema zu einem gesamteuropäischen Streitfall wird. Und was diese Abstimmung über Gräben verrät, die sich durch die EU ziehen und drohen, tiefer zu werden.

Die Abstimmung ist ein Triumph von Schlagworten über Fakten, von Lobbyarbeit über Logik. Man meint förmlich, das triumphierende Tuscheln in den PR-Büros der Fleischindustrie zu hören (oder knallen dort gleich die Korken? Ein Mettigel wird serviert?). Was den Abgeordneten, je nach politischer Couleur, als Einsatz für „Transparenz“ im Sinne der Konsument:innen oder als wichtiges Signal im herbeifantasierten Kampf gegen “woke” verkauft wurde, war in Wahrheit eine gut inszenierte Kampagne zum verzweifelten Schutz der eigenen Pfründe. Flankiert von wohlwollenden Signalen aus Teilen der Kommission und des Agrarausschusses.

Stell Dir vor es ist Kulturkampf und keiner geht hin

Nun, da sich der Staub gelegt hat, sind viele sehr schnell mit üblichen Verurteilungen bei der Hand. Doch sind tatsächlich so viele Parlamentarier:innen der Idee erlegen, dass Verbraucher:innen Erbsen nicht von Schwein unterscheiden können? Oder sahen sie in dieser Debatte eine bequeme Bühne, um Härte in einem aufkeimenden europäischen „Kulturkampf“ zu demonstrieren – einem Kampf, der in Wahrheit nur existiert, weil bestimmte Interessen ihn politisch nützlich finden? Es ist wohl von allem etwas dabei. 

Spannenderweise spiegelt das Abstimmungsergebnis nicht das wider, was die meisten anhand der öffentlichen Debatten erwarten würden. Es lohnt sich deshalb, näher hinzusehen, vor allem bei den Konservativen. Nach wohl intensiver interner Debatte stellte die EVP ihren Mitglieder frei, selbst zu entscheiden, wie sie abstimmen wollen. Das Ergebnis war ein sehr heterogenes Abstimmungsverhalten innerhalb der Fraktion. Die deutsche Delegation lehnte den Vorschlag zum Beispiel mehrheitlich ab: Nur vier stimmten dafür, fünfzehn dagegen. Alle anderen deutschen Fraktionen, von Grünen über Liberale bis Sozialdemokrat:innen und Linken, stimmten ausnahmslos dagegen, mit der vorhersehbaren Ausnahme der AfD. Der Kulturkampf scheint also in Europas größtem Mitgliedstaat weniger tief verwurzelt zu sein, als mancher glaubt. Es geht ein Riss durch das konservative Lager. Dort zumindest hat der gesunde Menschenverstand eine kleine Schlacht gewonnen.

Peter Liese aus der CDU/CSU Gruppe in der EVP Fraktion schrieb in den sozialen Medien: „Mehrheit des Europäischen Parlaments beschließt unsinnige Verbote. Bezeichnungen wie #Veggie-Burger und #Veggie-Wurst sollen verschwinden. Gute Nachricht: Es wird wohl kein Gesetz, da der Ministerrat den Vorschlag nicht annehmen wird. Wir haben im Moment wirklich andere Sorgen.“

Schnelle und zu pauschale Verurteilungen von außen sind also nicht hilfreich, das könnte die Reihen eher wieder schließen. Stattdessen lohnt sich für alle ein genaueres Hinsehen.  Denn vielleicht haben die Abgeordneten aus dem eigenen Land ja gegen das Verbot gestimmt, selbst wenn sie nicht der bevorzugten Partei angehören. Das verdient Anerkennung und eröffnet Chancen. Denn offenbar haben diese Politiker:innen die Warnungen aus der Industrie und die Argumente der Wissenschaft ernst genommen. Oder geben einfach nur Vernunft Vorrang vor politischem Kalkül. Denn mal ehrlich: eigentlich braucht man weder Wissenschaft noch Petitionen, um zu erkennen, dass diese ganze Aktion eine Farce ist.

Der Graben, der sich bei dieser Frage durch Europa zieht, verläuft also gar nicht entlang von Parteilinien. Ein Blick auf das gesamte Abstimmungsmuster zeigt: Nicht die Parteizugehörigkeit spaltet das Haus, sondern Geografie. Nordeuropa und Westeuropa – wo die Märkte für pflanzliche Produkte boomen – stimmten überwiegend gegen das Verbot. Süd- und Osteuropa, stärker abhängig von traditionellen Viehwirtschaften, stimmten mehrheitlich dafür. Mit anderen Worten: Die „Schlacht ums Schnitzel“ wird weniger zwischen links und rechts, sondern zwischen Mitgliedsstaaten ausgetragen – zwischen jenen, die den Ernährungswandel bereits leben, und jenen, die ihn noch fürchten. Die analytische Aufmerksamkeit von allen, die weiterhin für eine evidenzbasierte und vernünftige Regulierung (beziehungsweise für keine Regulierung) werben wollen, sollte daher jenen Ländern gelten, in denen Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg für das Verbot stimmten.

Parodie statt Pragmatismus: den größten Schaden trägt die EU selbst davon

Das erinnert daran, dass Ernährungspolitik in der EU nie nur Ernährungspolitik ist. Es geht um Identität, Industrie und die Schwerkraft des Status quo. Und gelegentlich auch darum, wer bestimmen darf, was auf der Speisekarte der Zukunft steht.

Doch es gibt Hoffnung. Die Abstimmung des Parlaments ist nicht das Ende dieser Geschichte. Der Vorschlag wandert nun in die sogenannten Trilog-Verhandlungen, in denen Parlament, Rat und Kommission einen gemeinsamen Text aushandeln müssen. Und dort könnte der Rat – also die Vertretung der Mitgliedsstaaten – noch als Stimme der Vernunft auftreten. Mehrere Regierungen, darunter Deutschland, die Niederlande und die nordischen Länder, haben bereits Unbehagen über die Entscheidung des Parlaments signalisiert. Halten sie Kurs, könnte dieser sprachpolitische Unsinn im Endkompromiss still und leise gestrichen oder zumindest entschärft werden. 

Doch selbst wenn die Regelung verwässert oder blockiert wird, lässt sich der Eindruck dieser Abstimmung nicht ungeschehen machen. Der vielleicht größte Schaden trifft nicht Verbraucher:innen oder Unternehmen – sondern die EU selbst. Sie hat mit dieser Abstimmung genau jene Gruppe enttäuscht, die stets zu ihren loyalsten Unterstützer:innen zählten: Menschen, die eher progressiv, gebildet, international orientiert sind und Brüssel als Ort rationaler Politikgestaltung sehen wollten. Viele von ihnen blicken nun auf diese Entscheidung und sehen statt Pragmatismus eine Parodie. Die rechten, EU-skeptischen Populist:innen hätten das Drehbuch kaum besser schreiben können. Sie lachen sich Fäustchen, während sie zusehen, wie die EU sich selbst in bürokratische Knoten über Schnitzelnamen verheddert und damit jedes Vorurteil bestätigt, das sie so gern über eine angeblich abgehobene, bevormundende Brüsseler Elite verbreiten.

Das ist der wahre Preis dieser Abstimmung: kein großer Rückschlag für pflanzliche Lebensmittel, sondern ein Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Europäischen Parlaments, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen und unnötigen Vorstöße wie diesem schnell und effektiv eine Absage zu erteilen und sich wieder den wirklich wichtigen Themen zuzuwenden.

Ich werde dieses wichtige Schnitzel-Thema aber für heute ruhen lassen und mich für den Rest des Tages wichtigeren Dingen zuwenden. Zum Beispiel der Frage, warum meine Haferflocken so seltsam schmecken, seitdem ich sie mit Scheuermilch esse.

PS: ich habe in Die Presse einen Gastkommentar zu diesem Thema geschrieben, einen Tag vor der Entscheidung.

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